Silvester 2011 und ein Kommentar zum Film BLACK SWAN

365 Tage von 2011 sind nun fast vorbei und die nächsten folgen. Ich freue mich auf aufregende Momente mit allen, die A.E.R.o.Ballet mit ihrer Freude und Leidenschaft breichern, erneuern und erweitern. Danke dafür, dass Ihr bis heute alle  mit so viel Ausdauer und Herz dabei gewesen seid.

Kommt gut ins Neue Jahr, fröhlich, beschwingt und in purer Lebendigkeit!

 

Zum Jahresabschluss möchte ich nun doch noch mein Kommentar zum Film THE BLACK SWAN hier veröffentlichen. Er sorgte in diesem Jahr für viel Wirbel.

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Ein Statement zum Film: THE BLACK SWAN

 


 

Klassisches Ballett und ‚Die Suche nach Perfektion‘

von Dipl. Cécile Sydow

 

Ich habe das Statement von John Neumeier über den Film gelesen und ich finde seine Reaktion aus seiner Sicht heraus verständlich. Ich hatte vor 2 Jahren das Glück, in seinem Ballettinternat in Hamburg A.E.R.o.Ballet® unterrichten zu dürfen.

 

 

 

Kürzlich habe ich den Film THE BLACK SWAN nun selbst im Kino gesehen. Das rief in mir meine Erinnerungen zurück: Im Alter zwischen fünf und siebzehn Jahren wurde ich in Braunschweig an der Staatstheater Ballettschule im klassischen Ballett ausgebildet. Mit 9 Jahren tanzte ich meine erste Hauptrolle auf Spitzenschuhen. Mit 15 Jahren ungefähr merkte ich, dass ich selbst keine Ballerina werden wollte und dazu die Chancen auch nicht besonders hoch standen; auch wenn mich meine Ballettmeisterin für sehr begabt hielt. Für all die notwendigen Workshops und Zusatzausbildungen hatten meine Eltern nicht genügend Geld und irgendwie fehlte mir selbst das Vertrauen darin, es auch wirklich schaffen zu können. Ich liebte den Tanz, das harte Training, meine Gruppe, die Aufführung…ich war süchtig nach dem Theater mit allem, was dazu gehört: dem Duft, den Geräuschen, den Menschen…. Dennoch füllte mich das klassische Ballett nicht vollkommen aus. Es fehlte mir das Singen und das Schauspielen. Ich spürte, dass ich mich nicht alleine durch Tanz ausdrücken wollte. Bühne und Theater ja, aber nicht als Ballerina.

 

Direkt nach dem Abitur absolvierte ich in Hamburg eine Musicalausbildung mit dem Schwerpunkt Tanz, wo das klassische Balletttraining selbstverständlich ebenfalls regelmäßig unterrichtet wurde. Von Mal zu Mal bekamen für mich persönlich diese Stunden immer mehr den Charakter einer Meditation. Das Training war ebenso hart, aber der Leistungsdruck nicht annähernd so hoch wie am Staatstheater. Aus heutiger Sicht finde ich es umso erstaunlicher, dass ich diesen verminderten Leistungsdruck nicht annehmen und genießen konnte, sondern statt dessen nicht davor zurückschreckte, mir selbst höchsten Druck aufzuerlegen. Das begann und endete beim Körper und natürlich bei der Technik. Die Wichtigkeit der Technik wurde mir ja von der Pike an gelehrt: ohne perfekte Technik kein hervorragender Tanz.

 

Das Besondere an den Ballettstunden an der Musicalschule war, dass diese Stunden mir eine Möglichkeit boten, zu mir selbst zu finden, mich selbst ganz tief im Inneren kennen zu lernen. Ich lernte, in meine Mitte zu kommen, um aus ihr jeden Atemzug und Bewegung beginnen zu lassen. Auf diese Weise entdeckte ich im klassischen Ballett eine Essenz, von der ich heute annehme, dass diese Essenz genau der Grund ist, warum der klassische Balletttanz sich durch all die Jahrhunderte hindurch seiner Beliebtheit erfreut.

 

Je länger ich von der Ballettschule am Staatstheater Braunschweig weg blieb, umso mehr Abstand konnte ich von dieser Disziplin gewinnen, so dass ich das klassische Ballett nun auch von anderen Warten her betrachten konnte. Als ich zudem das Sportwissenschaftsstudium in Verbindung mit Psychologie an meine Musicalasbildung anschloss, sah ich das klassische Ballett aus einer noch höheren Distanz und kam zu dem Schluss, dass das klassische Ballett nicht nur ein Tanz auf höchstem Niveau ist, sondern zudem auch ein Leistungssport sein kann.

 

Der Film THE BLACK SWAN zeigt meiner Meinung nicht das, was generell in jeder Ballettcompany geschieht. Er gibt jedoch einen Einblick in ein ‚Schicksal‘, dessen Wahrscheinlichkeit einzutreten beim klassischen Ballett vielleicht höher einzuschätzen ist als in anderen Leistungssportarten.

 

Dieser Film zeigt zudem auf vielen unterschiedlichen Ebenen eine Menge über uns Menschen generell und wie wir mit uns selbst und unseren Mitmenschen umgehen. Er zeigt mir, was geschehen kann, wenn wir uns jahrelang einer Fremdbestimmung hingeben ohne es zu bemerken und was für eine Herausforderung vor uns steht, wenn wir uns von unseren Eltern wirklich lösen. Er macht mir wieder bewusst, wie schwierig es ist, sich aus alten Konditionen zu befreien, von denen wir spüren, dass sie uns blockieren und unfrei werden lassen. Und da ist es egal, ob es sich um die eigene Mutter wie im Film, die Arbeitsstelle oder Mitmenschen handelt.

 

 

Klassisches Ballett ist für mich persönlich wunderbar.

 

 

Klassisches Ballett hat Tradition. Es hat seine eigenen spezifischen Regeln, an denen man sich als angehende/r Tänzer/in genauso zu halten hat, wie in jedem anderen Beruf auch.

 

Im Folgenden möchte ich mich fast ausschließlich auf Mädchen, die sich ihren Traum als Ballerina erfüllen möchten, beziehen, denn über die männlichen Tänzer weiß ich zu wenig.

 

Viele junge Mädchen möchten Ballerina werden, aber nur wenige schaffen es wirklich. Ich habe für mich versucht, herauszufinden, warum es erstaunlich viele Mädchen auch heute immer noch (wo Theater immer häufiger Schwierigkeiten haben, sich aufrecht zu erhalten) zu diesem Beruf hinzieht und habe gewisse Ähnlichkeiten festgestellt: nicht selten sind es Mädchen, die in ein Elternhaus hinein geboren werden, wo Vater und Mutter oft streiten, ja , wo oft sogar Trennungen vollzogen werden. Häufig existieren zudem dort strenge Regeln. Aufgrund des Perfektionismus der Eltern (oder nur eines Elternteils) wird Gleiches meist unbewusst auch von den Kindern erwartet: höchste Leistungen in allem, was sie tun. Ein damit verbundenen Leistungsdruck, Angst, Sorgen und Wut begleiteten und überschatteten das Alltagsleben. Es schickt sich nicht laut zu sein, geweint werden darf oft auch nicht….generell steht man dem Zeigen von Gefühlen eher skeptisch bis ablehnend gegenüber. Statt mal richtig wütend sein zu dürfen, müssen diese Mädchen immer lieb, brav und gehorsam sein. Eben eine wahre Prinzessin. Rein physiologisch gesehen stehen diese Mädchen unter chronischem Distress (negativen Stress), was bedeutet, dass das Gehirn die Nebennierenrinden dazu veranlasst, ständig das Hormon Cortisol auszuschütten. Dieses wiederum hat zur Folge, dass sich die Körperzellen nicht regenerieren können. Die Zellerneuerung wird aufs Minimum reduziert und sogar ganz aufgehalten.Wo keine Zellerneuerung stattfinden kann, ist kein Wachstum und Entwicklung möglich. Der Mensch erschöpft sich immer mehr, bricht irgendwann zusammen und beginnt zu sterben. Balletttänzerinnen stehen unter einem enormen Erfolgsdruck, denn jede von ihnen kann augenblicklich ausgetauscht werden. Diese ‚Angst‘ vor dem eigenen Versagen ist zum Teil so groß, dass alleine sie das Maß der Anstrengung bestimmt.

Die Leidenschaft für das Tanzen wird verwechselt mit der Erregung, die in den Tänzerinnen herrscht. Es beginnt eine Selbsttäuschung. Und je nachdem, wie eine Balletttänzerin mit dem Druck umgeht (viele sind auch im Corps de Ballet als Gruppentänzerin zufrieden), wird sie immer stärker daran glauben, sie sei glücklich mit dem, was sie tut. Sie verwechselt meiner Meinung nach Erregung mit Leidenschaft. Chronische Erregung schwächt unseren Körper, Leidenschaft stärkt ihn. Wir erkennen Leidenschaft daran, dass wir von einer Sache so begeistert sind, dass wir sehnsüchtig auf ein Ergebnis hin arbeiten in dem tiefen Wissen, den geeigneten Weg dafür auch zu finden.

 

Eltern, die sich durch ihre eigene Person nur schwer bis gar nicht definieren können, tun dies nicht selten über die Leistungen ihrer Kinder.

Kinder leben was ihnen vorgelebt wird. Die Prägungen der Eltern werden meist unbewusst und auch ungewollt an die Kinder weitergegeben. Nach dem Motto: „Wenn ich es nicht schaffe, glücklich zu sein, dann sei Du es. Und wenn Du glücklich bist, dann bin auch ich glücklich“. Doch ist das ein Trugschluss, reine Illusion. Wahrlich können wir das Glück nur in uns selbst finden.

 

Das klassische Ballett ist ein Traum vieler Mädchen. Nur für wenige geht dieser Wunsch wirklich in Erfüllung. Um in eine renommierte Ballettschule aufgenommen zu werden, bedarf es – ähnlich wie beim Auto und dem TÜV – einer genauen Inspektion. Röntgenbilder verraten viel über den Knochenbau, wie groß diese Mädchen schließlich werden , wie schwer sie voraussichtlich wiegen werden, wie genau die Beckenstellung sich ausprägen kann, welcher Belastung die Gelenke (gerade die Fußgelenke)voraussichtlich standhalten werden.

 

Kurz: die Mädchen werden ‚gescannt‘. Wenn alles gut passt, dann darf es die Ausbildung beginnen. Und vom ersten Tag an geht es darum, sich den Regeln zu stellen und jede Position, jede Bewegung genauestens auszuführen. Es geht darum, sich den Anweisungen des Ballettlehrers/ der Ballettlehrerin hinzugeben. Eigene Wünsche, Meinungen oder Gedanken haben wenig Raum. Es geht darum, zu tun, was verlangt wird. Das klassische Ballett verlangt die Erfüllung seiner Tradition, seines Reglements.

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Es geht darum, sich selbst in den Hintergrund zu stellen und die Technik des Balletts zu erlernen. Und das mit aller möglichen Perfektion. Niemals ist ein Plié gut genug, das Bein perfekt auswärts, der Sprung hoch und gleichzeitig geschmeidig genug. Es gibt kein ‚fertig‘, kein ‚genug‘. Es geht immer noch irgendwie besser.

 

Beim Ballett geht es um Kontrolle. Ohne Kontrolle keine mühelose Ausführbarkeit. Die Figuren und Choreographien können nur unter einer exzellenten Technik getanzt werden. Ansonsten drohen neben der mangelnden Ausführung auch schwere Verletzungen.

 

Mit jedem Jahr, welches die junge angehende Ballerina durch bestandene Prüfungen schafft, wird es schwieriger. Schließlich wollen nahezu alle an die Spitze. Als Ballerina gibt es im Grunde nur ein Ziel: Solistin und die Hauptrolle. Und dafür wird mit allen Mitteln gekämpft.

 

Tänzerinnen und gerade Balletttänzerinnen haben mit der Zeit ein völlig anderes Schmerzempfinden entwickelt. Der Schmerz zeigt, dass man sich angestrengt hat. Und Anstrengung bedeutet, dass Engagement gezeigt wird. ‚Die Tänzerin WILL‘. Sobald sie Schwäche zeigt, wird sie von der Ballettmeisterin oder vom Ballettmeister nicht mehr als Solistin in Betracht gezogen.

 

Ballett ist gelebte Strenge und Disziplin sich selbst gegenüber. Von dem Augenblick des Ausbildungsstart verzichtet die Eleven auf private Aktivitäten. Sie geht nur selten mit Freunden in Schwimmbäder, auf Geburtstagsfeiern oder Partys. FÜR ihren Traum, der sich immer mehr als starken Willen – fast wie eine Sucht – herauskristallisiert.

Verzicht (Opferbereitschaft) und Schmerz (Leid auf sich nehmen) werden jedoch von den jungen Tänzerinnen nicht als solches wahrgenommen. Es ist ’normal‘, denn genau das zeichnet das Ballett aus.Das Leben ist Ballett. Die Fähigkeit, sich kontrollieren zu können, diszipliniert und ausdauernd, den Schmerz annehmend, jeden Tag stundenlang im Ballettsaal zu sein und unermüdlich an der Erfüllung seines Traumes zu arbeiten, gibt das Gefühl, das eigene Leben im Griff zu haben.

 

So, wie ein Hochseefischer dazu geboren ist, sein Leben auf dem Meer zu verbringen, so ist die Balletttänzerin dazu geboren, im Ballettsaal und auf der Bühne zu stehen. Sie kann einfach nicht anders. Und erst, wenn sie die Schwanenkönigin ist, DIE Solistin, hat sie es für sich geschafft. Und dafür kämpft sie bis aufs Äußerste, manche sogar mit unfairen Mitteln.

 

So ein Ballettalltag scheint die Tänzerinnen hart, kalt und gefühllos werden zu lassen. Es sieht nach außen so aus, als gäbe es nichts mehr, was sie verletzen könnte – außer, dass sie nicht DIE Rolle bekommt, die sie sich wünscht. Nach meiner Erfahrung ist das nicht so. Balletttänzerinnen haben sehr wohl viele Gefühle und können sehr gut Party machen. Und nicht alle sind schüchtern und in sich gekehrt, ernähren sich nur von Pampelmusen und gehen abends überpünktlich ins Bett.

 

Meiner Meinung nach zeigt der Film THE BLACK SWAN sehr gut, wie herausfordernd und schwierig es gerade für diejenigen sein kann, die es besonders gut machen wollen, die nicht vom Ehrgeiz nur angespornt sind, sondern von ihm nahezu durchtrieben zu sein scheinen.

 

Ich kann das persönlich sehr gut nachvollziehen, denn ich war damals genauso. Ich wollte perfekt sein. Und das bedeutete zunächst, die Technik perfekt zu beherrschen. Jahre über Jahre gab es nichts anderes für mich. Der nächste Schritt allerdings – und das erzählte mir aber niemand während meiner Ausbildung – galt es, in den persönlichen Ausdruck zu kommen. „Alleine die Technik macht aus Dir noch lange keine super Tänzerin. Es kommt auf die Harmonie zwischen Technik und Ausdruck an“. Aber woher sollte ich welchen Ausdruck nehmen? Und gar welchen persönlichen Ausdruck? In dem Moment bemerkte ich, dass ich meine eigene Person gar nicht kannte. Wer war ich denn eigentlich? Im Grunde war ich die Tochter einer Frau, deren Traum es war, Ballerina zu werden, die es aber leider nicht geschafft hatte. Meine Mutter ist ein Mensch gewesen, der immer alles perfekt machen wollte, weil es von ihr so verlangt wurde. Es war so üblich in ihrer Familie. Es gab keine eigenen Wünsche, nur die Erfüllung der Wünsche anderer, in diesem Fall waren es die Erwartungen ihrer Mutter. Dazu galt damals das Schönheitsideal Twiggy. Gefangen in der Fremdbestimmung hatte meine Mutter im Grunde kein eigenes Leben. Härte, Disziplin, Schmerzen aushalten, auf eigenes Glück verzichten und Kämpfen um die ‚Krone‘. Das waren die Eckpfeiler ihres Lebens. Und wie es in der Natur üblich ist, hat sie ihre Prägungen an mich weitergegeben. Sie hat das niemals gewollt – im Grunde genau das Gegenteil. Aber auch hier kommt das Gesetz der Natur zum Tragen: Wenn wir zu stark etwas wollen, entsteht ein Überschusspotenzial, welches ausgeglichen werden will, indem Gegenkräfte wirken und wir genau das Gegenteil von dem erreichen, was wir erreichen wollen.

 

Heranreifende Ballerinen mögen nach Außen hin arrogant, eingebildet, hart und starr, ja gefühllos erscheinen, aber im Inneren haben viele von ihnen nur ein beschränktes Selbstwertgefühl. Erstens kennen sie ihr Selbst nicht und zweitens sind sie erst wertvoll, wenn sie an der Spitze stehen. Es gibt unter ihnen solche, die zuhause Kuscheltiere haben, vielleicht noch eine Spieluhr von ganz früher, als sie noch ganz klein waren und solche, die in Wohngemeinschaften oder Internaten wohnen und all das nicht um sich herum haben. Es gibt solche, die die Öffentlichkeit scheuen und andere, die sie suchen.

 

Es kommt also der Moment, wo Dir Dein Ballettmeister oder Deine Meisterin sagt, dass Du nur dann wahrhaft an die Spitze kommst, wenn Du DAS PUBLIKUM bezaubern kannst. Und das kannst Du nicht alleine über Technik, sondern über Deinen persönlichen Charme, über Deine Anmut, Deine reizende Erscheinung und über die Verkörperung Deiner Rolle: „Werde zu dem, was zu tanzt“.

 

Dieses gewisse Sexappeal, was eine Tänzerin auch braucht, kann sie aber oft in sich nicht finden, weil sie sich über Jahre hinweg damit beschäftigt hat, zu ‚gehorchen‘, den Körper zu formen, die Techniken zu erlernen. Nun hat sie all die Jahre ihr Bestes gegeben, hat sich geschunden, gequält und bemüht. Und nun reicht es immer noch nicht? Leichtigkeit, Mühelosigkeit, Eleganz….alles das hat sie sich erarbeitet. Und woher nimmt sie nun diese spielerische Leichtigkeit des Sexappeals? Woher soll sie nun dieses Vertrauen nehmen, dass sie alles schaffen kann, wenn alles bisher ein Kampf war? Sie kommt in einen Konflikt. Wenn sie also an die Spitze möchte, muss sie sich auf einen ihr unbekannten Bereich einlassen, entfernt vom gewohnten Ritual. Das macht sie unsicher. Aber sie will nach oben, ganz nach oben. Also macht sie es einfach. Im Film lässt sich Nina vom Ballettmeister küssen, lässt sich auf sexuelle Phantasien ein, öffnet sich neuen Territorien. Und damit entdeckt sie eine ganz andere Seite in sich, nämlich den Schatten. Genau dies Seite, die sie nie zeigen wollte im Leben. Sie wollte doch immer lieb und brav sein, gehorsam und rein. Der Ausbildungsweg des Balletts ist nach meinen Erfahrungen zunächst ein Weg weg von mir selbst, hinein in eine Anpassung an ein bestimmtes Schema, um beizeiten aus diesem Schema sich wieder hinaus zu wagen, damit wir unser Selbst finden. Und das bedeutet beide Seiten zu erkennen, die helle und die dunkle.

Wir sind nie ohne den Schatten! Irgendwann im Leben kommt bei uns allen der Moment, wo wir genau das in und von uns sehen, was wir immer geheim halten wollten.

 

Wenn diese Tänzerin nun niemanden bei sich hat, der ihr die Zusammenhänge erklärt und sie auffängt, besteht die große Gefahr abzutauchen bzw. einzutauchen in den Schatten. Sie hat nicht gelernt, DIESEN zu erkennen, anzunehmen und kontrollieren. Und so nimmt der Schatten Besitz von ihr.

Und das ereilt uns ebenfalls alle, wenn wir nicht lernen, unseren Schatten zu kontrollieren. Dazu müssen wir ihn aber erst einmal ausfindig machen, d.h., wir dürfen in uns hinein schauen, uns erkennen, dann annehmen und kontrollieren. Ein anderes Wort, welches meiner Meinung nach passender wäre, ist Achtsamkeit. Wir dürfen lernen, mit unseren Emotionen achtsam umzugehen.

 

Wenn wir unseren Körper, unseren Verstand und unsere Gefühle kontrollieren können, also achtsam und wachsam mit ihnen umzugehen wissen, werden wir authentisch, ehrlich, kraftvoll, mutig anderen Menschen und Situationen gegenüber auftreten.

 

Über Perfektionismus haben sich schon so viele Gedanken gemacht. Wissen wir heute denn, was Perfektionismus ist? Eine gute Erklärung gab der Film THE BLACK SWAN. Perfekt ist man dann, wenn man zu dem wird, was man zeigen will. In der Kunst (Tanz wie Theater allgemein) würde das bedeuten, dass in einem Stück, wo ein Mord geschieht, wahrhaft jemand sterben muss. Das würde das Stück perfekt machen. Aber wollen wir das? Dann doch lieber ein nicht perfektes Stück, aufgeführt von Menschen, die in ihrer beweglichen Lebendigkeit ihre Einzigartigkeit voller Selbstbewusstsein uns, den Zuschauern für einen Abend schenken.

 

Meiner Meinung nach gibt es noch zu viele Ballettmeister/innen, die die Tänzer/innen dazu anhalten, nicht die eigene Seele zu verkörpern, sondern die des Meisters oder der Meisterin. Ich glaube, wenn es einem Ensemble ermöglicht wird, das Thema der Aufführung und die zu tanzende Rolle aus eigener Seele heraus zu verkörpern, werden wir noch schönere lebendigere und wahrhaft leuchtende Körper die Bühne erfüllen sehen. Solange sie noch zu stark unter der Fremdbestimmung eines Meisters oder einer Meisterin stehen, werden wir von diesen Seelentänzen wohl eher weniger erleben. Schade.

 

Das Ballett ist für mich Meditation geworden, die Stangenübungen haben mich zu mir selbst gebracht. Ich habe soviel über meinen Körper und seinen Möglichkeiten gelernt, dass ich irgendwann akzeptiert habe, dass ich nicht eine geboren Ballerina bin. Dafür ist mir meine eigene persönliche Freiheit zu lieb. Ich habe irgendwann verstanden, was ich beim Ballett gesucht habe und noch wichtiger war es, zu erkennen, dass ich das, was ich suche NICHT dort finden kann. Ich habe viel dort gefunden. Aber nicht alles. Daher habe ich das Ballett nicht professionell weiterverfolgt. Vielmehr habe ich eine Möglichkeit erschaffen, eine Plattform, auf der die Menschen sich bewegen können, die ähnlich wie ich, im Ballett die Mediation finden, eine gesunde Art, seinen Körper in eine gesunde Haltung zu bringen, Disziplin zu üben, Mut und Ausdauer und vor allem Gelassenheit zu finden. Ich sah, dass im Sport die Menschen sich weiten konnten. Disportare heißt, sich zerstreuen, sich weiten und öffnen. Wie also konnte ich die Essenz des Sports mit der des Balletts zusammen bringen, ohne das eine oder das andere zu beschneiden?

 

Heute finden sich viele ganz unterschiedliche Menschen im A.E.R.o.Ballet® wieder. Junge (15 Jahre) bis sehr junge Mädchen (10 Jahre), die Ballett mögen, aber denen es zu langweilig ist, Frauen, die Ballett immer irgendwie mochten, aber sich selbst dafür zu ungeeignet hielten, Tänzer/innen, die ihre Kondition steigern möchten und präventiv gezieltes Muskelaufbautraining wollen, denen Pilates aber zu langweilig ist, ehemalige Tänzer/innen, die sich weiterhin fit halten wollen aber nicht in Teenie Hip Hop Classes gehen wollen UND auch Männer, die Lust daran haben, mit schönen Frauen zu trainieren.

 

Die Welt wandelt sich und mit ihr meiner Meinung nach auch der Tanz…und zwar in die Richtung, dass die Schwere, die wir alle in unseren Ausbildungen erlebt haben, die Chance bekommt, sich in Leichtigkeit zu wandeln.

 

Und das vor allem dann, wenn die Schüler rascher und ohne zögern die Verantwortung für sich selbst übernehmen. Und damit meine ich auch, dass sie lernen, sich nichts vorzumachen. Denn entweder man ist Tänzer …oder man ist es nicht!

 

Je eher die jungen Menschen ihre Potentiale erkennen lernen und nutzen, um so weniger Schmerzen müssen erlitten werden, körperlich wie seelisch.

Ich setze mich für begabte, freudige, gesunde TänzerInnen ein und damit für die Ausbildungsinstitute, die für uns diese Menschen auf die Bühne bringen und diese TänzerInnen gemäß ihrer Talente fördern und ihnen helfen, ihren Traum zu verwirklichen.

 

 

 

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